Bulgakow, Michail by Meistererzählungen

Bulgakow, Michail by Meistererzählungen

Autor:Meistererzählungen [Meistererzählungen]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-09-04T08:20:20+00:00


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Kapitel XI

Kampf und Tod

Es lohte eine rasende, elektrisch erhellte Nacht über Moskau hinweg. Es brannten alle Lichter, in den Wohnungen gab es keinen Raum, in dem nicht Lampen mit abgenommenen Lampenschirmen geleuchtet hätten. In keiner Wohnung Moskaus, das vier Millionen Einwohnerzählte, schlief in dieser Nacht ein Mensch, außer den unverständigen Kindern. Es wurde gegessen und getrunken, was einem gerade unter die Hände kam, es wurde plötzlich ge-schrien, und jede Minute spähten verzerrte Gesichter aus den Fenstern aller Stockwerke, die Blicke gen Himmel gerichtet, der aus allen Richtungen von Scheinwerferstrahlen durchkreuzt war.

Am Himmel selbst flammten immerfort weiße Feuer auf, die schmelzende, bleiche Lichtkegel auf die Moskwa warfen, um wieder zu erlöschen. Der Himmel war erfüllt vom ununterbrochenen Motorengebrumm niedrig fliegender Flugzeuge. Besonders schrecklich war es auf der Twerskaja-Jamskaja. Auf dem Ale-xandrowskij-Bahnhof liefen alle zehn Minuten Züge ein, wahllos zusammengestellt aus Güterwagen, Waggons aller Klassen und sogar Tankwagen, vollgestopft und bienenkorbähnlich behängt von halb wahnsinnigen Menschen, die dann in dichten Haufen über die Twerskaja-Jamskaja drängten, sich in Autobusse zwängten, sogar auf die Dächer der Trambahnen kletterten, sich gegen-seitig erdrückten und schließlich unter die Räder gerieten. Auf dem Bahnhof knatterten immerfort grimmige, aufgeregte Gewehrsalven über die Menge hin – damit versuchten Militärtruppen die Panik der Wahnsinnigen, die über die Weichen der Eisenbahnlinie Smolensker Gouvernement-Moskau irrten, einzudämmen. Auf dem 92

Bahnhof barsten immerfort unter wütendem Splittern Fensterscheiben und heulten alle Lokomotiven. Alle Straßen waren übersät mit heruntergrissenen und zertrampelten Plakaten, und gleiche Plakate blickten unter glühenden, karmesinroten Reflektoren von den Wänden. Sie waren allen wohlbekannt, denn niemand hatte sie nicht gelesen. Auf ihnen erklärte sich Moskau als im Kriegszu-stand befindlich. Auf ihnen drohte man Strafe an für Panikstimmung und teilte mit, daß Truppe um Truppe der Roten Armee, mit Gas ausgerüstet, im Smolenkser Gouvernement eingesetzt würde. Doch die Plakate konnten die entsetzliche Nacht nicht lindern. In den Wohnungen wurden Geschirr und Blumentöpfe zu Boden geworfen und zerschlagen, stieß man sich an allen Ecken, wurden irgendwelche Taschen und Koffer geleert und in aller Eile neu zusammengepackt und in vergeblicher Hoffnung auf den Kalantschewskij-Platz, zum Jaroslawskij- oder Nikolajewskij-Bahnhof geschleift. Alle Bahnhöfe, die Verbindung zum Norden und Osten hatten, waren von einem äußerst dichten Ring von Infanterie umzingelt; und riesige Lastwagen, bis oben mit Kästen beladen, auf denen Soldaten mit spitz zulaufenden Helmen saßen, die nach allen Seiten ihre Gewehrläufe richteten, transportierten schwankend und kettenklirrend die Vorräte an Gold aus den Kellern des Volkskommissariats für Finanzen und riesige Kisten mit der Aufschrift ›Vorsicht Tretjawoskij-Galerie‹. Automobile heulten und rasten durch ganz Moskau.

Am fernen Himmel flackerte der Widerschein eines Feuerbran-des und hörte man, die dichte Finsternis des Augusts durchzu-ckend, ununterbrochenen Kanonendonner.

Gegen Morgen schob sich durch ein vollkommen schlafloses Moskau, in dem nicht ein Licht gelöscht war, die vieltausend-köpfige, hufeklappernde Schar der Reiterarmee, alles Entgegenkommende beiseite drängend, was sich in Einfahrten und hinter eingedrückte Schaufensterscheiben flüchtete, den Twerskoj hinauf.

Die Enden karmesinroter Baschliks baumelten auf grauen Rücken, und Lanzenspitzen starrten in den Himmel. Die Menschenmenge wogte schreiend hin und her, als sei sie vom Anblick der vorwärtsdrängenden, den überschäumenden Wahnsinn zerteilenden 93

Soldaten gleichsam belebt.



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